Starkes Erlebnis: Motorradausflug für sehbehinderte Jugendliche nach Maulbronn
Am Samstag rollten 24 Motorräder mit sattem Sound auf den ehrwürdigen Klosterhof des UNESCO-Denkmals: Sie gehörten zu einer Gruppe von Motorradfahrern, die sehbehinderte Jugendliche und junge Erwachsene der Stuttgarter Nikolauspflege zu einem Ausflug eingeladen hatten. Der gemeinsame Besuch im Kloster mit Führungen für alle ist Teil einer schon seit Jahren bestehenden Partnerschaft der Biker mit der diakonischen Einrichtung.
MOTORRADFANS TEILEN IHRE BEGEISTERUNG
Ehrenamtliches Engagement, wie es besser nicht sein könnte: Menschen, die sich für eine Sache begeistern, wollen anderen etwas von ihrem eigenen Glück abgeben. So war es bei einer Gruppe von Motoradfans aus dem Raum Stuttgart. Sie haben vor einigen Jahren beschlossen, dass sie sehbehinderte Jugendliche an ihrer Freude an PS-starken Zweirädern teilnehmen lassen wollen. Seither laden sie einmal im Jahr Schülerinnen und Schüler der Stuttgarter Nikolauspflege zu einem gemeinsamen Motorradausflug ein. „Wir wollen für die Jugendlichen einen besonderen Tag schaffen. Dafür suchen wir jedes Jahr einen anderen Ort aus, wo wir dann gemeinsam etwas erleben können“, sagt Rolf Neumann, der Organisator des Ausflugs. Bis zu 30 Motorradfahrerinnen und -fahrer machen jeweils mit – und in diesem Jahr war das UNESCO-Denkmal Kloster Maulbronn das Ziel.
AUSFLUGSZIEL UNESCO-DENKMAL MAULBRONN
Und so kamen am Samstag 24 Maschinen mit sonoren Motorensound auf den ehrwürdigen Klosterhof gerollt. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen der Nikolauspflege fuhren teils im Beiwagen, teils auf dem Motorrad. Für viele war die Fahrt mit dem Zweirad schon fast Routine: denn aus den Ausflügen sind über die Jahre richtige Freundschaften zwischen Motorradfahrer und Schützling entstanden. In Maulbronn gab es für alle gemeinsam Führungen durch das einstige Zisterzienserkloster. In kleinen Gruppen ging es durch Klausur und Klosterkirche, in Rundgängen, die speziell für die Bedürfnisse von sehbehinderten Menschen angelegt waren.
FÜHRUNG MIT BESONDEREM ZUGANG
„Darauf sind wir eingerichtet“, erläutert Barbara Gittinger, die als stellvertretende Leiterin der Klosterverwaltung die organisatorischen Fäden des Besuchs in der Hand hat. Die ehrwürdigen Mauern anfassen, ein gotisches Maßwerkfenster im Kreuzgang mit den Fingern erspüren oder ein Detail der Steinmetzarbeit: Das Erlebnis geht viel mehr über das Gefühl als bei normalen Führungen. „Wir versuchen auch, etwa die besondere Akustik in der Klosterkirche mit ihren großen Gewölben spürbar werden zu lassen“, sagt Barbara Gittinger: „Sehbehinderte Menschen nehmen schon den Temperaturunterschied beim Eintritt in die Klosterkirche viel stärker wahr.“
SPÜRBARE KLOSTERGESCHICHTE
„Ein Kloster oder einen vergleichbaren historischen Ort haben wir bisher noch nie als Ziel gehabt“, erläutert der Organisator Rolf Neumann. Und die Jugendlichen und jungen Erwachsenen waren hoch interessiert! „Zum Teil gab‘s in der Gruppe richtig viel Wissen über den Zisterzienserorden“ berichtet die Maulbronner Klosterführerin Uta Eich. Und so kam es, dass aus der ursprünglich geplanten kurzen Führung ein Rundgang von einer guten Stunde wurde. Besonders „cool“ fanden die Blinden und Sehbehinderten die Spuren der Klosterschüler: Kloster Maulbronn ist reich an historischen „Graffiti“, Inschriften und Namenskürzel, mit denen sich die Seminaristen früherer Jahrhundert im Sandstein der Wände und Fensterbänke verewigt haben.
VIEL INTERESSE UND VIEL AUFMERKSAMKEIT
Der Start des Rundgangs war beim großen Tastmodell aus Holz im Frühmesserhaus. Dann ging es weiter in die Vorhalle der Klosterkirche: Das berühmte Paradies bot mit seinen schlanken Säulen aus Buntsandstein ein starkes Tasterlebnis. In der Klosterkirche beeindruckte die Akustik des weiten Raumes – und im anschließenden Kreuzgang waren es vor allem die Graffiti der historischen Seminaristen. Das Kloster bot mit seinem Reichtum an Geschichten viel Stoff zum Erzählen, bis hin zur Legende von der Entstehung der Maultasche. „Das hat allen großen Spaß gemacht – auch mir“, fasst die Klosterführerin Uta Eich den Besuch zusammen. Natürlich: Mit den Motorrädern kann das ehrwürdige Kloster am Ende dann doch nicht ganz konkurrieren: Da ist das Erlebnis der schnellen Fahrt einfach stärker als der Geist der Zisterzienser. „Aber gut war das Besuchserlebnis auf jeden Fall, das merkt man bei den Führungen daran, wie konzentriert eine Gruppe dabei ist“, sagt Barbara Gittinger.
DIE NIKOLAUSPFLEGE
Die Nikolauspflege ist eine Einrichtung zur Förderung blinder und sehbehinderter Menschen, die seit dem 19 Jahrhundert besteht. Sie verdankt ihren Namen dem russischen Zar Nikolaus: Die württembergische Königin Olga benannte die Stiftung nach ihrem Vater. Die Nikolauspflege, Mitglied des Diakonischen Werkes und heute mit mehreren Standorten in Baden-Württemberg tätig, konnte 2016 ihr 160-jähriges Bestehen feiern.
BARRIEREFREIHEIT IN MAULBRONN
In Maulbronn sind die Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg schon lange auf dem Weg in Richtung Barrierefreiheit: Seit vielen Jahren gibt es etwa ein Tastmodell aus Hartholz, das Blinden und Sehbehinderten die Möglichkeit gibt, die Klosteranlage in ihrer Gesamtheit und Struktur mit den Händen zu erfassen. Die Klosterverwaltung bietet spezielle Führungen für unterschiedliche Bedürfnisse an. Wie in den meisten historischen Monumenten erfordert die Barrierefreiheit Maßarbeit im Detail: Die gewachsenen Bauwerke verlangen mit Jahrhunderte alten Stufen, unebenem historischem Bodenbelag und schmalen Portalen in jedem Fall spezielle Lösungen. In Kloster Maulbronn konnte in den letzten Jahren der Bereich von Mönchsklausur und Klosterkirche barrierefrei erschlossen werden, zuletzt etwa durch einen schwellenfreien Zugang durch die ehemalige Klosterküche.
SERVICE UND INFORMATION
Kloster Maulbronn
Klosterhof 5
75433 Maulbronn,
+49(0)70 43.92 66 10
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Montag, 2. Juli 2018
Kloster Maulbronn |
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BLINDE JUGENDLICHE IM KLOSTER
Am Samstag rollten 24 Motorräder mit sattem Sound auf den ehrwürdigen Klosterhof des UNESCO-Denkmals: Sie gehörten zu einer Gruppe von Motorradfahrern, die sehbehinderte Jugendliche und junge Erwachsene der Stuttgarter Nikolauspflege zu einem Ausflug eingeladen hatten. Der gemeinsame Besuch im Kloster mit Führungen für alle ist Teil einer schon seit Jahren bestehenden Partnerschaft der Biker mit der diakonischen Einrichtung.