Tag der Bibliotheken am 24. Oktober: Rare Entdeckung zur einstigen Klosterbibliothek
Am 24. Oktober findet der Tag der Bibliotheken statt – dieses Jahr bereits zum 20. Mal. Die lange Geschichte der Bibliotheken ist untrennbar mit der der Klöster verbunden: Denn hier, in den geistlichen Gemeinschaften, wurde über Jahrhunderte das Wissen bewahrt, lange bevor die meisten Menschen lesen lernten und es öffentliche Büchereien gab. Aus der seit 500 Jahren untergegangenen Bibliothek des mittelalterlichen Klosters Maulbronn sind in den letzten Jahren Fragmente aufgetaucht. Eines davon erzählt eine besondere Geschichte: Eine Übertragung eines Talmud, einer jüdischen theologischen Handschrift, fand sich wiederverwendet als Einbandmaterial. Zu sehen ist das originale Pergament im Klostermuseum von Maulbronn im Frühmesserhaus.
DIE KLOSTERBIBLIOTHEK VON MAULBRONN UND IHR SCHICKSAL
Dass Maulbronn eine Bibliothek besaß, weiß man. Dazu gehörten ein Skriptorium, also eine Schreibwerkstatt, und eine Buchbinderei. Erhalten ist davon jedoch fast nichts. Wie bei allen Klöstern Württembergs endet die Geschichte der Maulbronner Klosterbibliothek früh: Im Zuge der Reformation löste der Herzog von Württemberg im Jahre 1534 die Klöster auf. Damit war die Klosterbibliothek der Zisterzienser in Maulbronn nutzlos. Die Sammlungen von Chorgesängen und Gebeten wurden nicht mehr gebraucht. Aber auch in weiterbestehenden Klöstern, etwa in Oberschwaben, wurden alte Bände, die nicht mehr verwendet wurden, schon im Mittelalter „recycelt“, das Material war zu wertvoll. Die Bücher bestanden aus teurem Pergament. Das Schreibmaterial der damaligen Zeit, aus feinen Tierhäuten gewonnen, ließ sich gut wiederverwenden – etwa, um damit andere Bücher einzubinden. Die Forschung hat sich in den letzten Jahren auf die Spuren dieser sogenannten Einbandmakulaturen begeben und so die Fragmente von vielen mittelalterlichen Schriften aus den Klöstern gefunden. Sie haben sich erhalten als Einbandmaterial etwa für Rechnungsbücher späterer Zeit. Der Talmudfund aber hat noch einmal eine andere Geschichte.
RARES ZEUGNIS EINER THEOLOGISCHEN AUSEINANDERSETZUNG
Bei Sanierungsarbeiten im Herrendorment fand man im Jahr 2013 einen Buchdeckel. Der ließ sich durch eine alte Beschriftung zuordnen: Er gehörte zu einem „Mirakelbuch“, einem Buch über die Wunder der Ordensheiligen der Zisterzienser aus dem 15. Jahrhundert. Die wirkliche Überraschung aber bot das Pergamentblatt, das auf der Innenseite des Buchdeckels klebte. Die Spezialisten für mittelalterliche Texte konnten es identifizieren als eine Aneinanderreihung von Exzerpten aus einem Talmudtraktat. Datieren lässt sich diese lateinische Übertragung der jüdischen Bibelauslegung auf die 1230er- bis 1240er-Jahre. Der sensationelle Fund rückt die alte Klosterbibliothek zurück ins Rampenlicht, denn der Fund der Maulbronner Handschrift ist eine Rarität: Es waren bisher nur sieben Dokumente mit Teilen dieser Übersetzung des 13. Jahrhunderts bekannt. Der Babylonische Talmud, maßgebliche jüdische Bibelauslegung, war erst im 11. Jahrhundert erstmals nach Mitteleuropa gelangt.
DAS FRAGMENT ALS DOKUMENT MIT ZEITBEZUG
Doch warum gab es im Zisterzienserkloster Maulbronn eine jüdische Lehrschrift zur Bibel in einer lateinischen Übertragung? Christliche Theologen versuchten zur Zeit der Entstehung des Fragments, den jüdischen Lehrschriften Irrtümer, ja sogar antichristliche Inhalte nachzuweisen. Da die Theologen das Hebräische nicht lesen konnten, ließ man den Text des Talmuds in Auszügen ins Lateinische übersetzen. Argumente gegen jüdische Gelehrte und ihre Theologie sollten damit also gefunden werden. Warum sich gerade im Zisterzienserkloster Maulbronn des 13. Jahrhunderts eine solche Schrift fand, weiß man nicht. Wahrscheinlich gab es damals in vielen Klöstern solche Abschriften und Übersetzungen, sie sind nur nicht erhalten geblieben. Die theologische Diskussion hatte Folgen: In Frankreich führte die Auseinandersetzung der christlichen Gelehrten mit der jüdischen Theologie dazu, dass talmudische Schriften verbrannt wurden. Welche Rolle die Handschrift in der Maulbronner Bibliothek spielte – oder ob sie überhaupt eine Wirkung hatte, das weiß man nicht. Für die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts sind auch in der Region von Maulbronn Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung dokumentiert, etwa 1260 in Pforzheim oder 1298 von Franken ausstrahlend bis in den Kraichgau.
BIBLIOTHEKEN ALS STÄTTEN DER ERINNERUNG UND DES WISSENS
Die beiden Funde – Buchdeckel und Pergament – sind heute im Frühmesserhaus in Maulbronn zu sehen. Dort, im Klostermuseum, wurde ein neuer Bereich eingerichtet für diese Zeugnisse einer langen Geschichte von Kloster Maulbronn und seiner verlorenen Bibliothek. Kloster Maulbronn ist ein Ort, an dem sich vielfach die Geschichten von Büchern, Literatur und Lesen finden: Nach dem Ende der Klosterzeit wurde Maulbronn zur württembergischen Klosterschule – und das heutige Evangelische Seminar führt diese mehr als 450-jährige Tradition fort. Die meisten der späteren Geistesgrößen des Landes besuchten diese Bildungsanstalt. Der heute noch berühmteste unter den aus dieser Schule hervorgegangenen war ganz sicher der spätere Literaturnobelpreisträger Herrmann Hesse.
SERVICE
Das UNESCO-Denkmal Kloster Maulbronn ist ganzjährig geöffnet. Das Klostermuseum im Frühmesserhaus und das Literaturmuseum im Infozentrum von Kloster Maulbronn sind während der Öffnungszeiten frei zugänglich.
Kloster Maulbronn
Klosterhof 5
75433 Maulbronn
Telefon +49(0)70 43.92 66 10
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Montag, 19. Oktober 2015
Kloster Maulbronn |
Sonstige Veranstaltungen
TAG DER BIBLIOTHEKEN AM 24. OKTOBER
Am 24. Oktober findet der Tag der Bibliotheken statt – dieses Jahr bereits zum 20. Mal. Die lange Geschichte der Bibliotheken ist untrennbar mit der der Klöster verbunden: Denn hier, in den geistlichen Gemeinschaften, wurde über Jahrhunderte das Wissen bewahrt, lange bevor die meisten Menschen lesen lernten und es öffentliche Büchereien gab. Aus der seit 500 Jahren untergegangenen Bibliothek des mittelalterlichen Klosters Maulbronn sind in den letzten Jahren Fragmente aufgetaucht. Eines davon erzählt eine besondere Geschichte: Eine Übertragung eines Talmud, einer jüdischen theologischen Handschrift, fand sich wiederverwendet als Einbandmaterial. Zu sehen ist das originale Pergament im Klostermuseum von Maulbronn im Frühmesserhaus.